Ich bin endgültig angekommen: immer wenn ich Leute auf der rechten Fahrspur fahren sehe denke ich : "Da läuft irgendetwas falsch!". Ich habe ehrlich nicht gedacht, dass das so schnell geht. Mittlerweile hat jetzt auch hier größtenteils der Alltag Einzug erhalten. Die Internationals werden des Feierns müde, lediglich an den Wochenenden wird hier noch regelmäßig dem Alkohol gefrönt. Hier läuft das Studium für die meisten auch etwas anders ab als daheim: Tests gibt es beinahe jede Woche, und wenn das nicht, dann gibt es Hausaufgaben, Essays, Hausarbeiten, Präsentationen und Vorträge zu bearbeiten. Zum Glück sieht das bei mir noch etwas besser aus. Aber auch ich bin geschafft, wenn ich nach acht bis neun Stunden vor dem Laptop im Büro Feierabend mache. Oftmals wird dann in der Unterkunft noch weiter gearbeitet, solange, bis dann abends nur noch Zeit zum skypen mit den Liebsten und eventuell noch für einen Film ist.
Aktuell fällt es mir auch recht schwer, einheimische Menschen kennenzulernen. Sie sind oftmals doch unter sich, so auch im Büro. Man trifft sich mal auf dem Gang oder an der Kaffeemaschine, aber mehr als Smalltalk ist oftmals nicht drin. Aber ich blicke nach vorn. Gerade heute wurde ich zum Sonntag in die Kirche eingeladen, um einem Gottesdienst beizuwohnen. Ich bin gespannt, habe aber bisher nur Gutes darüber gehört. Allgemein ist Religion gerade für die Mehrheit der Bevölkerung ein sehr sehr wichtiges Thema. Im Normalfall wird man ziemlich zu Beginn eines Gespräches schon gefragt, ob man an Gott glaubt. Ab und an passiert es, dass die Person gegenüber garnicht verstehen kann, dass man Atheist ist. Aber alle zeigen sich doch immer sehr interessiert an einem Meinungsaustausch mit Fremden.
Ein ebenso wichtiges wie fragwürdiges Thema hier sind Frauen. Eine Statistik besagt, dass in Südafrika bereits jede dritte Frau Opfer einer Vergewaltigung wurde. Und diese Zahl ist definitiv nicht zu hoch gegriffen. Es ist echt bestürzend, was für Geschichten man hier erzählt bekommt. Frauen sagen selber: "Wenn eine Frau einen zu kurzen Rock trägt, dann ist sie selber Schuld, wenn sie vergewaltigt wird." Allgemein gilt, dass man nachts niemals allein hinaus geht. Dunkle und einsame Gassen sollte man meiden. Und auch die Diebstahlrate ist in Afrika ziemlich hoch. gerade vergangenes Wochenende hatten wir einen Extremfall an der Uni. Den ganzen Samstag fanden überall auf dem Campus Sportveranstaltungen statt, da einige andere Universitäten der Ostküste zu Gast waren. Am Abend gab es dann eine Aftershow-Party im Rugby-Stadion. Diese war vollkommen überfüllt, sodass es für Taschendiebe natürlich ein leichtes war, diverse Handys, Portemonnaies, Schlüssel und andere Wertgegenstände zu stehlen. Und auf diesem weitläufigen Gelände die Betrunkenen auf ihrem Heimweg noch zu überfallen stellt natürlich auch keine sonderlich große Herausforderung dar. Auch beim Geld abheben sollte man aufpassen. Und man sollte niemandem am Bankautomaten die Kreditkarte geben, wenn einem Hilfe angeboten wird. Ja, auch den Vorfall hatten wir.
Das klingt jetzt alles ziemlich abschreckend, aber allgemein sollte man sich einfach so verhalten wie in jedem anderen Urlaubsland auch. Wenn man es den Dieben einfach macht lassen diese sich natürlich nicht zweimal bitten.
Aber um auf die Frauen zurückzukommen: Die Frauen hier lieben Ausländer! Und es scheint als würden sie besonders Deutsche im Auge haben. Aber zum Beispiel wurden Freunde hier nachts in der Tanke von der netten Dame an der Kasse gebeten, ihre Oberkörper zu zeigen, bevor sie ihnen etwas verkauft. Oder aber wildfremde Mädels packen sie einfach am Arm, während sie dabei sind, eine Bar mit der eigenen Freundin an der anderen Hand zu verlassen, damit er noch ein wenig da bleibt. Oder die Kassiererin in der Kantine, welche etwa Anfang 50 ist, aber anfängt mit einem zu flirten und den Pullover haben würde, den man gerade trägt. Schon irgendwie skurril manchmal. Aber doch immer wieder lustig.
Ein weiterer Unterschied zu heimischen Gefilden stellt die hiesige Politik dar. Fangen wir mal mit der Frage an, warum ein so korrupter Mann wie Jacob Zuma noch Präsident ist?! Die Antwort ist so einfach wie traurig. Der Großteil der gebildeten Bevölkerung weiß über die Machenschaften bescheid und versucht, etwas daran zu ändern. Allerdings sind sie noch deutlich in der Unterzahl. Mehr als 50% der Südafrikaner hat nie eine Schule von innen gesehen. Und ein wichtiger Fakt kommt erschwerend hinzu: Zuma vertritt die gleiche Partei, die auch der große Nelson Mandela damals geführt hat. Allein dieser Fakt führt dazu, dass er an der Macht bleibt. Aber die Zeiten scheinen sich zu wenden, aktuell hat seine Partei einige Städte, unter anderem Kapstadt und eben PE verloren. Hoffen wir das beste.
Ein weiteres Highlight ist hier der Wahlkampf. In einer Welt, in der Politiker auch mal ihre Konkurrenten töten lassen, stehen die Anhänger mit Herzblut hinter ihrer Partei. In Deutschland stehen untersetzte ältere Herren unter einem SPD-Schirm in der Fußgängerzone und Werben mit Flyern oder gegebenenfalls noch mit Schlüsselanhängern, um auf Nachfrage nicht einmal zu wissen, was in diesen Flyern überhaupt drinsteht. (Ich möchte hiermit übrigens keinem SPD-Mitglied zu Nahe treten, es ist nur ein Beispiel und gilt für alle Parteien. Mit Ausnahme derer, welche mit Hass und Angst werben.) Hier in Südafrika ist das ein riesiges Spektakel. Bunt gekleidet wird getanzt, gesungen, überall, zu jeder Zeit, Fahrzeuge mit Parolen, welche aus den Lautsprechern dröhnen, passieren einen mehrmals täglich. Und am Wahltag sieht es vor den Wahllokalen aus wie vor einem Fußball-Stadion: alle tragen die Farben ihrer Partei, Fahnen, Trillerpfeifen, Sprechchöre....da verwundert es nicht, dass es da auch regelmäßig zu Schlägereien kommt.
Am Dienstag wieder das gleiche Spiel. Proteste. Freizeit. Also wird diese genutzt, um sich ein wenig von den Strapazen der letzten Woche zu erholen. Am morgigen Mittwoch sollen endlich auch die letzten Nachzügler unserer kleinen Gruppe aus Wolfsburg und Umgebung anreisen und die Uni endlich starten. Schauen wir mal, was uns hier noch erwartet.
Bis dahin unendlich schöne Grüße,
Paul
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